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Im Rahmen des Drive It-Days, einem der größten Oldtimer-Treffen Deutschlands, fand im Kölner Museum für Angewandte Kunst ein von Stylepark organisiertes Symposium statt, das sich mit dem Kulturgut Auto befasste. Foto © Max Ratjen
-Vorstand Christian Gärtner. Foto © Max Ratjen
Ein Anblick, der uns schwärmen lässt: Der Aston Martin DB5, hier mit Sean Connery als James Bond-Darsteller im Film „James Bond 007 - Goldfinger“. Foto © Autobild.de
Der Fiat Nuova 500, Nachfolger vom Topolino, kam in den Anfangsjahren auf eine Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h. Der kleinste Fiat kostete 1958 in Deutschland 2.990 DM – ohne Heizung. Foto © Lothar Spurzem
Die urbane Mobilität verdichtet sich und braucht eine neue Logistik: Nicht mehr nur vertikal, sondern auch horizontal geht es mit der Upway-Kapsel. Abbildung © Max Schwitalla
“Spirit of Ecstasy” wird die Figur auf der Kühlerhaube eines jeden Rolls-Royce genannt. Als Vorlage diente dem Designer Charles Sykes die griechische Siegesgöttin Nike. Foto © János Tamás
Fortbewegung, nicht Ekstase
von Barbara Wildung
18.05.2014

Wer kennt das erhebende Gefühl nicht: Mal so richtig das Gaspedal durchtreten, die Tachonadel auf über 200 treiben, sich von den Fliehkräften in den Sitz pressen lassen, den Geruch von kernigem Leder in der Nase und das kraftvolle Motorengeräusch in den Ohren – für manchen ist das ein nahezu göttlicher Zustand. Keine Frage: Trotz aller Diskussionen über nachhaltige Formen von Mobilität und über die generelle Daseinsberechtigung des Automobils – das Gefährt setzt Emotionen frei.

Gut zu beobachten war das Ende April rund um das Museum für Angewandte Kunst (MAKK) in Köln. Fast 1.000 historische Fahrzeuge waren dort vorgefahren, um von knapp 10.000 Besuchern bestaunt zu werden. „Ist der niedlich!“ war zu hören, wenn der Blick auf einen Fiat 500 aus den 1950er Jahren fiel und allein der Anblick des Innenraums setzte bei den Autoliebhabern Geruchsassoziationen frei. Warum werden wir so emotional, wenn es um historische Automobile geht? Wird das Auto als Designobjekt unterschätzt, wenn wir es auf seine Transportfunktion reduzieren? Ist das Auto inmitten der rasant zunehmenden Urbanisierung etwa doch kein überholter Gegenstand? Ist es in den aktuellen Mobilitätsdebatten tatsächlich nur noch der liebe alte Onkel von gestern?

Im Geiste der Ekstase

Solche Fragen waren Gegenstand eines vom MAKK und Stylepark organisierten Symposiums am 26. April 2014. Menschen, die Autos fahren und sammeln, Liebhaber und Schrauber, aber auch einfach nur Interessierte diskutierten über die „schönste und wichtigste Industrieskulptur unserer Zeit“, wie es die Initiatorin des „Drive it-Day“, Gaby von Oppenheim, ausdrückte. Auf dem Podium saßen der Journalist Niklas Maak, der Philosoph Martin Gessmann und der Architekt Max Schwitalla. Moderiert wurde die Veranstaltung von Stylepark-Gründer Christian Gärtner.

Niklas Maak, Leiter des Kunstressorts der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, erläuterte anhand der Entwicklung und Gestaltung einer besonderen Kühlerfigur, worin die eigentliche Funktion des Autos besteht. Ein „Spirit of Ecstasy“, so Maak, kröne nicht nur die Kühlerhaube eines jeden Rolls Royce, die kleine Skulptur verkörpere auch „Velocitas“, die dunkle Seite der Geschwindigkeit. Hier geht es keineswegs um den schnöden Transport von Menschen oder Waren von A nach B. Vielmehr sei das Auto Vehikel zur Selbstenthemmung, die Beschleunigung versetze den Fahrer in einen rauschhaften Zustand, weit weg von der Normalität. Also weicht die Vernunft purer Emotion, enthemmt und ohne Kontrolle vergisst der Fahrer sämtliche Regeln, genießt sich selbst in der Euphorie der Geschwindigkeit. Und heute? Könnte, so Maak, ein „KIA Picanto“ Designgeschichte schreiben? Offenbart das Design des Autos eine fundamentale Wende in dessen Rolle und Funktion? Eleganz und Dynamik der ursprünglichen Velocitas, seien einer Trutzburg gewichen. Außen Festung, wuchtig und aggressiv, innen ein sicheres gemütliches Wohnzimmer. Immerhin, man sitzt bequem im Stop-and-Go-Verkehr in den Städten. Aus dem Lustobjekt des Individuums, so Maaks Schlussfolgerung, sei ein Frustobjekt der Gesellschaft geworden.

Die Domestizierung der Ekstasen

Aber was passiert mit dem Auto, wenn die Selbstenthemmung blockiert ist? Martin Gessmann, Professor für Kultur- und Techniktheorie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, stellte in seinem Vortrag die Frage, wie wir uns fühlen, wenn uns Assistenzsysteme buchstäblich das Steuer aus der Hand nehmen. Lässt sich diese Frage philosophisch beleuchten?

Die Dynamik des Autos, führte Gessmann aus, beziehe sich nicht nur auf die Horizontale, sondern auch auf die Vertikale. Das Auto gleiche einer Rakete, mit der wir abheben und zu einem Gott werden. Worin aber besteht das Göttliche? Im Auto als Kapsel, in welcher der Fahrer tun und lassen darf, was er will, in der er die alleinige Kontrolle über sein kleines Universum hat? „Gott“, meinte Gessmann, „ist, wer sein eigenes Autos lenkt.“Hier zeige sich das Motiv, einem suboptimalen Zustand zu entkommen und in eine bessere Welt entfliehen zu können. Darin würde der eigentliche Transportauftrag des Autos bestehen. Zu dumm nur, dass wir heute nicht mehr abheben, sondern auf dem Boden des Faktischen bleiben und uns lediglich in der Horizontalen von A nach B bewegen. Auch die Kontrolle geht uns zunehmend verloren, das autonome Auto repariert sich selbst, Assistenzsysteme spielen Chauffeur und wir werden auf den Beifahrersitz oder gar die Rückbank verbannt. Aus Gessmanns Sicht ein Horrorszenario für alle Freunde des Automobils: Aus der Rakete, die uns in den Olymp katapultiert, wird eine Todeskapsel, in der wir verblöden, verfetten und emotional verarmen. „Domestizierung der Ekstasen“ hat Christian Gärtner das genannt.

Emotionslose Autos miteinander teilen

Kann es gelingen, aus dem Genussmittel Auto einen reinen Gebrauchsgegenstand zu machen? Ist der Genuss am Fahren nur noch eine elitäre Spielerei, während Mobilität zum Grundbedürfnis der Massen geworden ist? Der in Berlin lebende Architekt Max Schwitalla begann seinen Vortrag mit dem Statement, kein Auto zu besitzen und Car-Sharing-Angebote zu nutzen. Für ihn findet die Stadt der Zukunft ohne Auto statt. Dazu lieferte er Fakten: Ein Auto, das man mit anderen teilt, ersetze zehn individuell genutzte; im Jahr 2050 werde es mehr als zwei Milliarden Autos auf der Welt geben, die geparkt die Fläche von Nordrheinwestfalen einnehmen würden. Viele Städte, so Schwitalla, befinden sich bereits heute im Kollaps, China verschwindet im Smog und ein Bewohner der brasilianischen Metropole Sao Paulo steht durchschnittlich 27 (siebenundzwanzig!) Tage pro Jahr im Stau. Wenig verwunderlich, dass die dortige Oberschicht inzwischen andere Raketen zündet und im Hubschrauber über den Stau hinwegfliegt, in dem alle anderen gefangen sind. Kurz: Das Auto ist eine Sackgasse.

Schwitalla plädierte für ein Umdenken in Stadtplanung und Architektur. Die Vertikale müsse viel aktiver in die Gestaltung einbezogen werden, um den wachsenden Platzproblemen zu begegnen. Begrünte Türme schrauben sich in seinen Darstellungen in die Höhe, verdichten die Städte. Das Auto wird zum Stadtmobil für zwei Personen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern, zu einer Kapsel, die sich nicht nur horizontal, sondern auch vertikal bewegt. Und warum nicht das Gefährt nach dem Gebrauch einschmelzen und bei Bedarf wieder über 3D-Druck rematerialisieren? „Nutzen statt besitzen“ lautet bei Schwittala das Stichwort. Ein eigenes Auto – in den Städten braucht man so etwas nicht und diese Tendenz sollte weiterentwickelt werden. Niemand muss ein Auto brauchen müssen, so auch Niklas Maak. Und abgesehen vom reinen Gebrauchswert: Braucht es das Auto, um so etwas wie eine eigene Identität aus ihm abzuleiten?

Kulturgegenstand Auto

Abschließend wurde die Frage der Gestaltung diskutiert. Wobei herauskam: Die technische Optimierung ist erreicht, Kühlergrills sind zu bösartigen Monstern geworden und mit dem SUV wurde der Zenit für eine technische Trutzburg für die Großstadt erreicht. In den Megastädten der Zukunft, war man sich einig, werden solche Fahrzeuge keinen Platz mehr haben. Ob sie durch sich selbst steuernde Kapsel ersetzt werden, die wissen, wo der Friseur oder der Gemüseladen ist, blieb hingegen kontrovers. Was für Autoliebhaber ein undenkbares Szenario darstellt, erscheint für den in die Zukunft blickenden Stadtplaner als eine platzsparende Notwendigkeit.

Womit sich am Ende zeigte, dass das Auto ein kultureller Gegenstand ist, der nicht nur Designgeschichte geschrieben hat und Emotionen zu wecken und zu bündeln versteht, sondern auch eine große Herausforderung bei der Planung der Zukunft darstellt. Der Mensch, so waren sich alle Teilnehmer einig, sollte dabei stärker als bisher im Fokus stehen. Nicht allein die Technik.