Es war das Jahr 2009, als wir in Berlin „Dark Horse“, eine Agentur für Innovationsentwicklung, gegründet haben. Zuvor hatten wir von verschiedenen Beratern, Coaches und Venture Capitalists immer wieder drei Ratschläge bekommen. Erstens: Schafft eindeutige Verantwortungsstrukturen zwischen den Gründern, so dass immer klar ist, wer wann was entscheidet und wer wofür zuständig ist. Schon zwei Chefs können schwierig werden. Zweitens: Der Tag sollte am besten aus 28 Stunden bestehen. Eine eigene Wohnung braucht ihr ab jetzt eigentlich nicht mehr, denn Gründer wohnen quasi im Büro. Und drittens: Gründet eine Firma niemals mit Freunden, Geschäft ist Geschäft. Bei Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf und sollte das Geld mal aufhören zu fließen, ist auch gleich jede Freundschaft passé.
Wir wollten mit Dark Horse ein Unternehmen aufbauen, dass maximal innovationsfähig bleibt. Bei unserem gemeinsamen „Design Thinking“-Studium hatten wir Nutzerzentriertheit, Kollaboration und Iteration als Grundprinzipien der Innovationsentwicklung kennengelernt: Wir hatten erfahren, dass Neuerungen zuallererst denjenigen nutzen sollten, die sie auch nutzen sollen; wie verschiedene Fachleute sich gegenseitig inspirieren und kollaborativ zusammenarbeiten können und dass die besten Ideen diejenigen sind, die entstehen, wenn man nicht sofort eine Lösung parat haben muss, sondern gemeinsam aus Fehlern lernen kann. Diese Prinzipien wollten wir nun auf unser Unternehmen übertragen – nur leider schienen sie den Tipps unserer Gründungsberater diametral entgegen zu stehen.
Im Nachhinein war unser größtes Glück, dass wir am Anfang naiv genug waren die konventionellen Ratschläge komplett zu ignorieren: Wir sind 30 befreundete Gründer aus 25 verschiedenen Disziplinen. Wir arbeiten gänzlich hierarchiefrei und zeitlich flexibel zusammen. Bei uns tragen alle die Verantwortung für strategische Entscheidungen. Viele von uns sind neben ihrer Arbeit bei Dark Horse nach wie vor in ihren Fachgebieten tätig. Wir sind heute besser befreundet als vor unserer gemeinsamen Gründung. Trotzdem müssen wir natürlich wissen und kontrollieren wo unser Unternehmen steht, wer wann was mit wem macht und mit welchen Kunden wie viel Umsatz und Gewinn erwirtschaftet wird.
Dass unser gewagtes Unternehmen bisher funktioniert, war kein reines Glück mehr. Wir setzen uns kontinuierlich gezielt mit unserer eigenen Organisationsform auseinander und entwickeln diese ständig weiter. Seit fünf Jahren arbeiten wir daran, scheinbare Widersprüche zu überwinden: Individuelle Freiheit, gleichberechtigte Kollaboration und Wohlfühlen bei der Arbeit auf der einen Seite und Stabilität, effiziente Entscheidungen und Übersicht auf der anderen Seite.
Um zum Beispiel in der Gruppe und trotzdem schnell entscheiden zu können, sind wir ganz bewusst nicht demokratisch organisiert. Als wir einmal zwei Stunden zu zwanzigst über die Anschaffung der richtigen Kaffeemaschine diskutiert haben, nur um die Entscheidung am Ende doch zu vertagen, haben wir gemerkt: So klappt das nicht mit der hierarchie- und stressfreien Entscheidungsfindung. Seither sind kleine Teams für alle operativen Belange zuständig und strategische Entscheidungen treffen wir soziokratisch. Dabei geht es nicht um die Quantität einer Meinung, sondern um die Qualität von Argumenten. Jeder kann bei uns einen so genannten schwerwiegenden Einwand gegen eine Entscheidung einlegen und diese somit blockieren. Was klingt wie die Horrorvorstellung eines jedes Chefs, schützt uns vor schlechten Entscheidungen, weil von Anfang an unterschiedliche Perspektiven eingebunden sind. Die Art und Weise, wie wir dieses Instrument nutzen, spielt eine elementare Rolle. Wir verstehen sie als eine Art Notbremse, für den Notfall und nicht als Standard-Stoppknopf. Derjenige, der einen Einwand vorbringt, muss zudem aktiv an einem alternativen Vorschlag arbeiten. Einmal getroffene Entscheidungen werden bei uns schnell umgesetzt, da tatsächlich alle damit einverstanden sind.
Diese Form der kollaborativen Entscheidungsfindung funktioniert nur dann, wenn schwerwiegende Einwände nicht als Machtmittel missbraucht werden. Wir investieren daher viel Zeit und Ressourcen in die Pflege unserer kollaborativen Arbeitskultur. Statt aufwendiger Kontrollmechanismen, die überwachen wer wie lange woran arbeitet, nutzen wir verschiedene Vertrauensinstrumente. Regelmäßig verleihen wir zum Beispiel den internen „Fail Award“ mit dem wir unsere größten Schnitzer auszeichnen. Zwei Kollegen ersteigerten zum Beispiel mal eine alte Telefonzelle, um darin im Büro ungestört telefonieren zu können. Als das 400-Kilo Monster von einer Spedition angeliefert wurde, merkten wir, dass die Zelle selbst für sechs starke Träger zu schwer war. Das wiederum war nicht weiter schlimm, denn wir stellten außerdem fest, dass die Telefonzelle nicht durch unsere Bürotür gepasst hätte. Die Spedition nahm die Telefonzelle direkt wieder mit und die Kollegen konnten sich den „Fail Award“ abholen. Indem wir immer wieder diejenigen feiern, die etwas verbockt haben, trauen wir uns dauerhaft angstfrei alle Informationen zu teilen und gemeinsam daraus zu lernen.
Wir entwickeln mit und für unsere Kunden nutzerzentrierte Produkte und Services. Mittlerweile beraten wir unsere Auftraggeber außerdem, wie sie in ihrem Unternehmen eine mitarbeiterzentrierte Innovationskultur etablieren können. Dabei ist es uns wichtig, die Konzepte und Lösungen, die wir für uns selbst entwickelt haben, niemals eins zu eins auf andere Unternehmen zu übertragen. Denn schließlich kann jede Regel so formuliert werden, dass sie umgangen oder ins Gegenteil verkehrt werden kann. Zudem sind soziale Interaktionen glücklicherweise viel zu komplex für Standardlösungen. Uns geht es vielmehr darum, Prinzipien pragmatisch auf unterschiedliche Kontexte zu adaptieren. Wie genau die Instrumente und Strukturen dabei jeweils aussehen, ist weniger entscheidend als der Umgang damit.
Das gilt auch für unsere Kommunikationstools. Die schöne neue digitale Welt gibt uns die Möglichkeit, ortsunabhängig zu kommunizieren. Smartphones machen unendlich erreichbar und für jede soziale Situation gibt es die passende App. Auch hier prüfen wir genau, wann welches Tool brauchbar ist und wann eine analoge Face-to-Face-Kommunikation unverzichtbar ist. Nutzen schlägt Technik. Immer.
Durch unsere flexible und freiheitliche Organisationsstruktur sind wir häufig unterwegs. Um dennoch informiert zu sein, die anderen informieren zu können und somit für Sichtbarkeit unserer Arbeit zu sorgen, nutzen wir eine firmeninterne Social Media Plattform. Hier gibt es für jeden ein Profil, unterschiedliche Themengebiete und die Möglichkeit, zu „liken“, zu „praisen“ und Fragen zu stellen. Hier vernetzen und potenzieren wir unser Wissen über neue Erfindungen, über die erfolgreichsten Start-Ups, unseren letzten Urlaubsort und die besten Katzenvideos. All dieses Wissen ist gleichberechtigt und wichtig für unsere Arbeit. Bei aller Sichtbarkeit und Emoticons hat diese Plattform allerdings eine Grenze, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen und Erkenntnisse zu gewinnen. Online lassen sich Informationen austauschen und transparent machen. Um aus reinen Informationen Sinn zu ziehen und etwas Neues zu schaffen, ist es sinnvoll, sich nach wie vor auch physisch zu treffen. Wenn wir vorher den Termin online abgestimmt haben.
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