Dass Design unseren Alltag prägt, ist eine Binsenweisheit. Dabei herrscht beileibe nicht überall eitle Vielfalt. In einer Welt voller Marken darf nämlich nichts dem Zufall überlassen bleiben, am wenigsten das Gesicht einer Marke. Dieses soll einprägsam und weithin sichtbar sein, kurz, wir Kunden sollen auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um das Produkt einer bestimmten Firma handelt. Das Arsenal der Zeichen und Formen, die sicherstellen sollen, dass man ein Produkt umstandslos mit einer bestimmten Marke identifiziert, reicht vom Logo und dem Corporate Design über eine mehr oder weniger einheitliche Designsprache bis zu besonders hervorgehobenen, das jeweilige Objekt prägenden Formen, Farben und Elementen. Soweit, so schön.
Doch was soll es sein, was da hervorgehoben und in den Vordergrund gerückt wird? Zumal das, was sich in unser Gedächtnis einbrennen soll, von Branche zu Branche und je nach Produkt verschieden ist. Was für einen Toaster oder ein Waschmittel gut sein mag, das funktioniert bei einer Trekkingjacke oder einem Kühlschrank noch lange nicht. Auf die Spitze getrieben wurde das Prinzip des Labeling in den 1990er Jahren von Mode-Labels, die den Markennamen einfach in großen Lettern auf Brust und Rücken von T- oder Sweat-Shirts gedruckt und den Kunden damit nebenbei als wandelnde Litfaßsäule eingesetzt haben. Ein besonderes Beispiel, das uns tagtäglich begegnet, stammt aus der Autobranche.
Hauptsache Grill
Was ist das Erkennungszeichen des automobilen Menschen? Spoilerlippe? Breitreifen? Pferdestärken? Navi? Nein, es ist: der Grill! Nicht der mit Holzkohle befeuerte, den Mann gerne anheizt, weil er gern den ganzen Kerl spielt, auch wenn es draußen eh schon heiß ist, sondern das, was im Rückspiegel auf der Autobahn erscheint: der Kühlergrill. Den hat man, glaubt man den Marketingabteilungen, heutzutage gern groß und breit, auf dass der Vorausfahrende im Rückspiegel auch erkenne, was für ein potentes Gefährt da angerauscht kommt.
Im Laufe der Zeit hat sich eine eigene Markentypologie ausgebildet, die den Status des jeweiligen Gefährts wie kein anderes Designmerkmal kommuniziert. Audi hat dafür den Single-Frame-Grill, Mercedes ein breites Maul mit einem großen Stern in der Mitte, wobei beide in der Oberklasse naturgemäß besonders dominant ausfallen. Neuerdings will Mercedes alternativ mit dem „Diamantgrill“ – „diamonds are a girl’s best friend“ – besonders weibliche Kunden betören und für Frische und Abwechslung sorgen. BMW setzt aus Gründen der Tradition auch weiter auf seine Doppelniere, die von Modellwechsel zu Modellwechsel immer größer zu werden scheint, wie sich jetzt gerade bei der Studie eines „Gran Lusso Coupé“ beobachten lässt.
Diamant, Diabolo oder Dreizack?
So oder so, die Frontpartie dominiert. Weil die der Lexus-Modelle wohl vielen allzu bieder erschien, ist sie nun neuerdings geprägt von einem zackigen Diabolo-Kühlergrill. Maserati setzt von jeher auf ein tiefliegendes Fischmaul mit Dreizack, was nicht unbedingt heißt, dass jeder, der am Steuer sitzt, gleich ein griechisch-römischer Gott namens Poseidon oder Neptun sein muss, der von einer Schar spärlich bekleideter Meernymphen umgeben ist. Aston Martin bleibt trotz Verschlankung Aston Martin, Jeep steht treu und fest und amerikanisch-solide zu senkrechten Blechschlitzen, Bentley macht’s auch heute noch wie die legendären Boys mit Maschendraht – und Rolls-Royce gibt sich naturgemäß mächtig, kantig und traditionsverbunden. Nach dem Motto: Wo Ferrari sein „cavallino rampante“ hat, haben wir unsere Emily, den wahren „Spirit of Extasy“, der sich so schön wie kein anderer in den Wind hängt. Ein Hersteller, der bislang noch keine einprägsame Form gefunden hat, die eindeutig mit der Marke identifiziert wird, der hat ein Problem und arbeitet daran.
Damit aber nicht genug. Mag der Kühlergrill auch das Markengesicht prägen, seit Erfindung des LED-Tagfahrlichts wird dem automobilen Blick zusätzlich mittels kosmetischer Maßnahmen aufgeholfen. Ob Lidstrich oder Leuchtwinkel, hochgezogene Braue oder grimmig irrlichterndes Bärtchen – auch an ihren Lichtbändern und Lichtbögen sollen wir sie erkennen, die allesamt schönen, edlen und teuren Gefährte, die den emotionsgesteuerten Marketinggehirnen als begehrte Gefährtinnen erscheinen.
Starker Abgang
Selbst das Heck, auf das wir neidisch blicken, ist das Teil erst einmal pfeilschnell an uns vorbeigesaust, wird mittlerweile gern auf maximalen Status getrimmt. Hier entsprechen dem prägnanten Grill die neuerdings nicht mehr runden, sondern trapezförmig ausgeformten Enden des Auspuffs. Nimmt man all die Reize der automobilen Bühnenshow zusammen, so beginnt man zu verstehen, weshalb es so schwer ist, elektrisch angetriebene Fahrzeuge mit einem ganz anderen Design auftreten zu lassen. Schließlich gilt: Erst kommt die Marke, dann der Grill.