Individuelles Wohnen im Hochhaus – Teil 2
Claudia Meixner und Florian Schlüter
| 28.07.2014Der Henninger Turm gehört zu den weithin sichtbaren Wahrzeichen Frankfurts. Entsprechend groß ist die Herausforderung, ihn neu zu gestalten. Im 2. Teil des Gesprächs, das Thomas Wagner mit Claudia Meixner und Florian Schlüter geführt hat, geben die beiden Architekten Auskunft über die Besonderheiten des Wettbewerbs, den Umgang mit der Erinnerung und die Aktualisierung eines städtischen Wahrzeichens.
Thomas Wagner: Wir haben darüber gesprochen, wie Sie die Bauaufgabe „Wohnhochhaus“ angehen. Kommen wir nun zum Henninger Turm. Wie sind Sie hier vorgegangen?
Claudia Meixner: Grundsätzlich nicht anders als bei dem Wohnhochhaus an der Europaallee. Am Anfang bauen wir ein Kontextmodell. In dieses setzen wir dann verschiedene Lösungsansätze hinein, schauen sie uns an, diskutieren, lassen das Modell stehen, die Eindrücke sich setzen, arbeiten an den funktionalen Strukturen, diskutieren weiter, bis sich eine Lösung herauskristallisiert.
Gab es beim Wettbewerb für den Henninger Turm besondere Vorgaben? Sollte zum Beispiel das sehr signifikante Fass auf dem Gebäude unbedingt erhalten bleiben?
Claudia Meixner: Nein. Die Wettbewerbsaufgabe bestand darin, zwei Lösungen vorzuschlagen. Eine sollte einen Umbau des bestehenden Gebäudes thematisieren, eine zweite Vorschläge für einen komplett neuen Entwurf ausarbeiten. Die Jury wollte sich auf dieser Grundlage entscheiden, ob sie eine Umbau- oder eine Neubauversion favorisiert. Was wir gut fanden bei dem Wettbewerb, es gab ein Zwischenkolloquium. Das heißt, es gab Gelegenheit – man nennt das ein kooperatives Verfahren – einen Zwischenstand vorzustellen und Resonanz von der Jury zu bekommen, wodurch man einschätzen kann, ob man auf dem richtigen Weg ist. So ein Verfahren ist, das muss man sagen, sehr zielführend. Tatsächlich sind wir vom Bestand ausgegangen. Das war das Allererste. Wir haben dann unterschiedlichste Entwurfsideen mit Arbeitsmodellen untersucht. Wir haben versucht, ein möglichst weites Spektrum von möglichst strengen bis zu amorphen, freien Geometrien durchzuspielen.
Können Sie diesen Prozess genauer beschreiben?
Florian Schlüter: Wir hatten beispielsweise ein amorphes Modell entwickelt, das aus einem Sockel nach oben schwingt und zur Stadt herunterschaut. Man muss ja feststellen: Wenn man vom Heinerweg kommt und auf den Henninger Turm zufährt, spürt man deutlich, wie stark der Auftritt des Gebäudes ist. Wir haben aber auch andere Ansätze diskutiert. Zum Beispiel, einen Abdruck des ursprünglichen Gebäudes als Negativ aus einer neuen Struktur herauszuschneiden. Wir haben einfach viele Ansätze durchprobiert, sind dann aber zu der Erkenntnis gelangt, dass wir es uns nicht so richtig vorstellen können, an der Stelle, wo dieses Wahrzeichen gestanden hat, einfach irgendein schickes Hochhaus zu bauen. Von da an wussten wir: Wir wollen irgendetwas mit dem vorhandenen Henninger Turm machen, was auch immer, ganz gleich, ob es um einen Umbau oder einen Neubau geht. Ein weiterer Schritt bestand darin, intensiv zu prüfen, ob der bauliche Bestand tatsächlich konstruktiv verwendbar wäre. Dies hat sich nicht als realistisch erwiesen. Da das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht, war dies auch inhaltlich nicht zwingend. Was uns dabei umso mehr aufgefallen ist: Der Turm ist kein materielles Baudenkmal, sondern ein emotionales Denkmal für diese Stadt. Daraus haben wir den Schluss gezogen, dass der Henninger Turm als ein Bild in neuer Form fortbestehen sollte. Diese Einschätzung hat auch die Jury des Wettbewerbs überzeugt.
Der Turm wurde ja zu einem Wahrzeichen, bevor viele andere Hochhäuser die Frankfurter Skyline geprägt haben.
Claudia Meixner: Ja, darin gleicht der Henninger Turm anderen Gebäuden wie der Kleinmarkthalle oder der Detektiv-Tudor-Werbung neben dem Eschersheimer Turm. Auch das sind Gebäude, die den Charakter der Stadt prägen, Gebäude, die nicht so richtig wegzudenken sind, die einen Wert haben, aber nicht innerhalb der Baugeschichte, nicht als bedeutsames Werk, sondern als Ort des Gedächtnisses der Stadt.
Frankfurt und der Henninger Turm, das gehörte früher einfach zusammen, so wie man heute, wenn man den Messeturm sieht, sofort sagt: Das ist Frankfurt! Sie wollten also die Funktion des Turms im Gedächtnis der Stadt, aber nicht seine Bausubstanz erhalten?
Claudia Meixner: Ja. Als wir bereits mitten in der Planungsphase waren, bin ich einmal mit dem Flugzeug in Frankfurt gelandet. Beim Landeanflug saß hinter mir ein schwäbisches Ehepaar, und die Frau schaute aus dem Fenster und sagte: „Ach, wir sind in Frankfurt, da ist der Henninger Turm.“ Da habe ich mich total gefreut. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis haben wir versucht, die Erinnerung an das Wahrzeichen wach zu halten, zugleich aber ein zeitgenössisches Wohnhochhaus zu entwerfen, das zeigt, dass der Turm nun eben kein Getreidesilo mit einem Fass oben drauf mehr ist. Wir wollten das Charakteristische des Gebäudes erhalten, vor allem seine Schaftsilhouette und den asymmetrisch aus der Mitte gerückten „Kopf“, der vom Sachsenhäuser Berg auf Frankfurt hinabschaut. Die Silhouette haben wir dann aufgefüllt mit in sich differenzierten Wohnlandschaften.
Florian Schlüter: Ähnlich wie bei dem Wohnhochhaus an der Europaallee haben wir uns Fragen wie diesen zugewandt: Wie kommt man von innen nach außen? Welche Außen- und Übergangsräume gibt es? Gerade bei diesem Solitär mit der Stadtlandschaft zu Füßen war es uns wichtig, komplexe Loggien und Terrassenbereiche zu schaffen, die die sinnliche Erfahrung dieses besonderen, exponierten Wohnens wirklich erfahrbar machen. Selbstverständlich gibt es in diesem hochwertigen Wohnhochhaus attraktive Allgemeinbereiche, wie eine schöne Eingangshalle mit Aufenthaltsqualitäten und einen Conciergeservice. Darüber hinaus gibt es die direkt angrenzende Sockelbebauung, in der Einzelhandel, Gastronomie und Fitnessbereiche ein zusätzliches Angebot für die Bewohner bieten. Das ganz Besondere ist natürlich die Signalwirkung des Henninger Turmes als einzigartige Adresse.
Können Sie noch etwas zum Angebot der Wohnungen sagen?
Claudia Meixner: Es gibt natürlich bestimmte Module und Wohnungsgrößen als Ausgangspunkt, die aber auch individuell kombiniert werden können. Im Prinzip wäre es auch kein Problem, wenn jemand ein ganzes Geschoss bewohnen oder mehrere Ebenen miteinander verbinden wollte.
Und was befindet sich in dem neuen, oben auf dem Gebäude sitzenden „Fass“?
Florian Schlüter: Konkret gibt es im „Kopf“ oder „Fass“ Wohnungen, eine Aussichtsterrasse und eine neue Gastronomie.
Apropos Fass. Hat Sie dabei auch die Frage beschäftigt, ob Sie nicht so etwas machen wie Retro-Architektur? Ist die Neugestaltung des Turms womöglich eine ähnliche Aufgabe wie sie sich beim Redesign in der Automobilbranche stellt, etwa beim Design des neuen Mini?
Florian Schlüter: Das hat uns schon beschäftigt. Der Henninger Turm ist ja ein vielbeachtetes Gebäude, also kommt es gleichsam zum Schwur. Man muss Farbe bekennen, sich entscheiden. Klar kann es da auch Berührungsängste geben. Innerhalb des Wettbewerbs waren wir diejenigen, die sich am entschiedensten mit dem Bild des alten Turms auseinandergesetzt haben. Letztendlich aber hatten wir nie das Gefühl, dass man das nicht machen könnte. Auch der neue Mini ist ja ein Erfolg, auch er nimmt Elemente des Ur-Mini auf und transformiert sie – wobei solche Vergleiche immer hinken. Wir haben uns die Frage gestellt: Wie kann man an etwas, das es gab, erinnern und es trotzdem neu machen? Diese spannende Frage haben wir uns zum Beispiel auch beim Umbau der Dornbuschkirche gestellt, wo wir einen Teil der Kirche abgebrochen haben. Den verbliebenen Rest dieser Kirche haben wir dann mit einem räumlichen Abdruck der abgebrochen Elemente wieder neu aufgeladen. Auch beim Wohnhaus Wohlfahrt haben wir ein nettes Wochenendhaus – ein archaisches, typologisch interessantes Häuschen – transformiert, umbaut und überbaut. Bei solchen Projekten ist es entscheidend, dass man eine Lösung findet, bei der die Erinnerung an das Alte in das Neue eingeht, Bekanntes und Gewohntes als Teil des Neuen weiter existieren.
Sind es vor allem die Unterschiede im Verhältnis von Alt und Neu, die architektonisch spannend sind?
Florian Schlüter: Natürlich ist dieses Aufgehen des Alten im Neuen neben dem Inhaltlichen auch ein bildnerisches Thema. Dominiert das Neue oder drängt sich das Alte in den Vordergrund? Ist der Prozess direkt ablesbar oder verschwindet er eher subtil in einer neuen Form? Nehme ich das Alte direkt wahr oder bleibt es im Hintergrund? Tritt es auf spröde Weise hervor oder verschwindet es elegant in der neuen Form? Es ging uns dabei immer um eine Transformation, nicht um eine Hommage. Das ist ganz wichtig.
Claudia Meixner: Bei dieser Suche gibt es immer Zwischenstufen. Bei den Wohnlandschaften zum Beispiel haben wir am Ende tatsächlich eine Variante realisiert, bei der sich die klare Geometrie in eine flimmernde Pixelstruktur auflöst, die sich deutlicher von der kubischen Grundfigur des Henninger Turms entfernt.
Florian Schlüter: Was immer man in so einem Fall macht, wichtig ist, dass das Ganze zur Aura des Gebäudes passt, in der Großform und im Detail das Individuelle sichtbar wird. Wir wären zufrieden, wenn ein Bewohner des neuen Turms, statt zu sagen: „Ich wohne im 14. Stock“, sagen würde: „Ich wohne in dieser Wohnskulptur, habe einen Balkon als individuellen Freiraum und überhaupt eine Wohnsituation, die andere so nicht haben.“
Claudia Meixner: Neben den Qualitäten des Henniger Turms als Erinnerungs- und Identitätszeichen stellt der Neubau ein zeitgenössisches, „individuell-gepixeltes“ Wohnhochhaus dar. Nicht zuletzt darin liegt der Reiz des Objekts.