„Container sind das Medium der Globalisierung", sagt Alexander Klose. „Der Behälter ist der Gebäudetypus der nächsten Zukunft", sagt Hartmut Böhme. „Die Krisenstadt ist ein zu kleinen Einheiten und unabhängigen Akteuren befähigte Stadt, der Container das Maß der kleinsten festen Einheit", sagt Dieter Hoffmann-Axthelm. „Der Container ist eine Hybride aus Architektur und Technologie. Der Container und das Frachtschiff sind die ultimative Verbindung all dessen, was Architekten erreichen wollen", sagt Aaron Betsky. „Es sind die Anmutungsqualitäten des Containers, die so sehr dominieren, dass es oft keines realen Containers mehr bedarf", sagt Konrad Köstlin. Der Container ist das piktogrammatische Haus", sagt Gesa Müller von der Haegen.
Lauter Definitionen. Hier auch lauter Merksätze, wo es doch Thesen sein könnten, über die zu diskutieren und streiten, sich lohnen würde. Im NRW-Forum in Düsseldorf sind diese – und ein paar weitere – Sätze so weit oben an die Wände der Ausstellung „Container Architektur" projiziert, dass der Besucher zu ihnen aufsehen muss. Und im nicht gerade theorielastigen Katalog, in dem es die Texte, inklusive Vorwort, auf nicht einmal zwanzig der insgesamt 330 Seiten bringen, wird der Container nicht nur zum „Symbol für das Leben und Wohnen in unserer globalisierten, bewegten und nomadischen Zeit" ausgerufen, sondern „auch für ein Lebensgefühl, für eine Vision" beansprucht, ja, Gesa Müller von der Haegen, „Architektin, Szenografin und Spezialistin für Temporäre Architektur und Urbanistik", erhebt den Container gar zum „Solitär von einer gewissen Vollkommenheit": „Containerkult – Die Standardbox als Liebling in Architektur und Avantgarde" behauptet der Titel ihres einleitenden Essays.
Geht's vielleicht nicht auch ´ne Nummer kleiner? Und dafür etwas kritischer und weniger affirmativ? Muss gleich vom „Sinnbild für den Mythos der Ferne" oder von „20 Fuß Poesie" die Rede sein, um den Container als Gegenstand einer Ausstellung zu legitimieren, wo es doch – und das im Wortsinn – näher läge, erstmal genau hin- und sich anzusehen, was Container so alles anstellen (können) in der Stadt Düsseldorf, wo sie derzeit, zumindest im Zentrum, überall herum- und im Wege stehen: Als Begleiterscheinungen der Baustellen für den Kö-Bogen und die neue U-Bahn-Linie, die für jahrelange Unpässlichkeiten sorgen, Geschäfte in die Insolvenz treiben, das Landschaftsdenkmal Hofgarten versehren, das Baudenkmal „Tausendfüßler" zu Fall bringen und tiefe, unüberwindbare Rampen in den Stadtkörper schneiden. Der Container wird da, temporär und absehbar, fast zur quantité négligable. Nicht einmal auf das Rasenstück vor dem Eingang im Ehrenhof wurde ein Demonstrationsobjekt gesetzt, und das, obwohl es doch die hochglanzverchromte (und als Fotomontage im Katalog abgebildete) Version gegeben hätte, die der Düsseldorfer Künstler Stefan Sous für Versailles veredelt hat.
Zwanzig mal acht mal 8,5 Fuß oder 6,06 mal 2,44 mal 2,09 Meter lauten die Maße der „Weltformel der Logistik". Gefunden hat sie der Amerikaner Malcolm McLean, der am 26. April 1956 erstmals einen umgebauten Tanker mit einer Ladung von 58 Lkw-Aufbauten von Newark, New Jersey, nach Houston, Texas, transportieren ließ. Seitdem ist der Container das weltweit standardisierte Frachtmodul. Genormt, stabil, kostengünstig, stapelbar. Etwa dreißig Millionen Container sind derzeit in allen sechs Erdteilen unterwegs: Sinnbild des internationalen Güterverkehrs und universeller Schiffbarkeit. Aber auch ein Gehäuse, ein Element, eine Einheit des Bauens, gar ein eigener Gebäudetyp? Architekten, Designer und Künstler wurden aufgerufen, Entwürfe und Projekte einzureichen, mehrere hundert haben Vorschläge nach Düsseldorf geschickt: 144 von ihnen reiht das NRW-Forum zu einem Bilderfries aneinander, zweiundzwanzig hat es als Modelle im Maßstab eins zu fünf nachbauen lassen. Dabei gewinnen die Objekte zwar Anschaulichkeit, aber sie wirken auch niedlich und suggerieren eine spielerische Qualität, die ihnen in der Wirklichkeit weitgehend abgeht. Im (zumal historischen) Stadtraum führt der Container geradezu zwangsläufig zu Brachial-„Lösungen": Der Belgier Luc Deleu von T.O.P. Office, der zwei von ihnen, leicht angewinkelt und rot angemalt, als temporäre Brücke über eine Gracht in der westfriesischen Stadt Hoorn legt, gibt dafür das – im Wortsinn – schlagende Beispiel.
„Temporär" ist überhaupt das meistbeanspruchte Attribut, das der Container mit sich führt: Ob Museum oder Ausstellungspavillon, Restaurant oder Verkaufsraum, Stadion (für Streetfootball) oder Turm, Kreuzfahrt-Terminal oder Schiff-Hotel, Wohn- oder Büro-Einheit – alle sind ja (nur) temporär. Doch das kann ganz schön lang werden, wie nicht nur die Stapelbauten, die für zusätzliche, meist nicht klimatisierte Klassenräume an Schulgebäude angedockt werden, bezeugen. C'est le provisoire, qui dure. Denn nicht der Container ist das Problem (oder dessen Lösung), sondern der Umgang mit ihm. Ein stationärer Showroom, wie ihn Lot/Ek aus vierundzwanzig Containern für die Sportschuhmarke Puma agglomeriert und wie er 2008 das Volvo Ocean Race auf allen Stationen begleitet hat, verliert mit den Ortswechseln an Originalität; und auch was als mobile Büroräume – etwa von In the Box e.V. oder Raumwerk Architekten – konzipiert wird, bleibt in seiner gestalterischen Qualität von der Umgebung abhängig.
„Das Interessante an Architektur", so David Chipperfield in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeine Zeitung", „ist, dass sie Antworten gibt, dass sie auf Situationen reagiert." Der Container aber reagiert allenfalls auf Notlagen und ist, wenn man Chipperfields Diktum ernst nimmt, das Gegenteil von Architektur. Denn, immer gleich in seinen Maßen, orientiert er sich nicht am genius loci, sondern an standardisierten Bedürfnissen der Nutzung. Dabei vereint er alles, womit sich Architektur in Verruf bringt: Globalisierung, Uniformisierung, Entindividualisierung, Anonymisierung. Dass er (fast) alles ersetzen und überall eingesetzt werden kann, macht ihn zum Hamburger der Architektur, „fast food", das, billig und fade, immer gleich aussieht, den gleichen Nährwert und die gleiche Kalorienzahl hat. Wobei es sich unterschiedlich würzen, mit Sauce bekleckern, mit Käse, Zwiebeln oder – derzeit besser nicht – Sprossen garnieren und verpacken lässt. Die Basis aber ist immer dieselbe. Was dennoch so alles damit möglich ist oder doch wäre, führt die Düsseldorfer Ausstellung vor Augen.
An Vielfalt mangelt es nicht, Gebautes und (noch) nicht Gebautes, Spleeniges (wie eine „Bibliothek im Eis", die Lutz Frisch dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung eingerichtet hat) und Abgedrehtes (wie eine Autobahnkirche von Walter Gebhardt für die A 38 bei Friedland), Originelles und Originalitätssüchtiges und – ja, das auch – Praktisches. Als temporäre Schauräume und Ausstellungswürfel, als Infoboxen und Notbehelfe haben sich Container, so mit dem Museum des Kölner Büros „Komma4" zum hundertjährigen Jubiläum des F.C. St. Pauli, bewährt, und der fünfundzwanzig Meter hohe Freitag Flagship Store, den Spillmann/Echsle aus 25 recycelten Seecontainern am Güterbahnhof Zürich aufgerichtet haben, wurde sogar mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Restlos überzeugend, ja alternativlos ist der Container für den Ausnahmezustand: So das „Katrina House" von Graft, das (erst) 2011 im Rahmen des „pink project program" für die 2005 vom Hurrikan zerstörten Wohngebiete von New Orleans entworfen wurde, oder die autarke und kombinierbare Rote-Kreuz-Box „1-Unit", die Ingenhoven Architects für Katastropheneinsätze entwickelt haben. Auch als Zwischennutzer in Baulücken, in denen die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt sind, bietet sich der Container an.
Am anderen Ende der Skala stehen der vierzehn Stockwerke hohe West Melbourne Residential Tower, den Phooey Architects gerade am Rande der Innenstadt der australischen Metropole errichten, oder der Plan einer Container City des Rotterdamer Büros MVRDV, das 3.500 Kisten zu einer Gebäudewand mit Bierkasten-Anmutung akkumuliert: Nicht erst da erscheint die Container-Architektur als Fortsetzung (und Banalisierung) der Box-Architektur und „wandernden Stadt", wie sie seit den fünfziger Jahren – nicht nur von Le Corbusier mit seinem „Modulor", sondern vor allem auch von Constant (Anton Nieuwenhuys) in den Niederlanden, Yona Friedman in Frankreich oder der Gruppe Archigram in Großbritannien – als utopisches Babylon visioniert wurden.
Legoland ist noch lange nicht abgebrannt. Mit dem Container kann der Architekt an seine kindlichen Berufsträume anknüpfen, und da wäre es doch gelacht, wenn er sich nach abgeschlossenem Studium nicht in der Lage sähe, die Kiste nicht nur komfortabel – mit Parkett, Mahagoni-Schiebetüren, Kamin, Edelstahlküche und Fotovoltaik-Anlage – aufzumöbeln, sondern auch so aufzuschneiden, zu verkleiden und zu konfigurieren, dass ihre Herkunft – zumindest auf Anhieb – nicht mehr auszumachen ist: So hat Carsten Happel ein Café in den Strand von Warnemünde geduckt, das sich mit seiner hellbraunen Lattenfassade geradezu chamäleonhaft dem Sand anpasst, und Pasato Building Solutions haben die Vila Do Condo in Portugal geformt, die es in ihrer weißen, signethaften Eleganz mit Richard Meier aufnehmen möchte. Doch das sind eher Ausnahmen. Die Regel sieht anders aus und knallt Containerbauten als Keulen der Rücksichtslosigkeit in Stadtkörper und Landschaften.
Zum Beispiel das Mountainside Residence Concept von Dustin Rowland. Als aufgeständertes Wohnhaus aus Containern scheint es an einem See- oder Meeresufer über dem Abgrund zu schweben – „for people brave enough to live where others won't go!" Die Maxime lässt sich programmatisch verstehen, das Selbstwertgefühl des (mutigen) Bauherrn ist alles, der Respekt vor der Umgebung nichts. Überhaupt scheint die Container-Architektur im Land der (einst) unbegrenzten Möglichkeiten einen anderen Stellenwert und eine andere Akzeptanz zu genießen: Adam Kalkin, einer der Protagonisten des Trends (?), etwa bietet mit dem Quik House ein präfabriziertes Heim aus Schiffscontainern, das in der Grundausstattung 76.000 US-Dollar kostet, luxuriös ausgestattet aber auch mehr als das Doppelte kosten kann und acht Wochen nach Bestellung ausgeliefert wird.
Amerika, Du hast es besser? Oder vielleicht eher die Folge davon, dass hierzulande andere Bauvorschriften, DIN-Normen, Wärmedämmungs- und Schallschutzbestimmungen gelten? Die Ausstellung lässt die Frage offen. Womöglich ist die Container-Architektur doch nicht mehr als eine Spielerei in der Sackgasse. Was ja auch sein Gutes hätte: Ihre Horrorszenarien könnten dann Papier bleiben.
Container Architektur
Vom 8. Juni bis zum 4. September 2011
NRW-Forum, Düsseldorf
www.nrw-forum.de