Die einstigen Gebäude des Pharmazeutischen Instituts werden nun vom Loewe Forschungszentrum für Biodiversität und Klima genutzt. 2013 Foto © Jörg Hempel/SchürmannSpannel AG
Campus Kramer
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von Thomas Edelmann
11.02.2014 In Frankfurt am Main eröffnet der Kulturdezernent der Stadt eine Ausstellung, die sich dem Möbeldesign von Ferdinand Kramer widmet. Pflichtgemäß erfreut sich Felix Semmelroth nicht nur an der historischen Aufarbeitung der Objekte, die Kramer entwarf, sondern verweist zugleich auf dessen Architektur, die Frankfurts Stadtbild mit prägt und seit Jahrzehnten zur Debatte steht. Angesichts des kürzlich abgerissenen AfE-Turms der Universität – entworfen von Kramers Nachfolgern – spricht der Dezernent von „Wehmut“: Denn die einstigen Universitätsbauten Kramers stünden auf der Abbruchliste, so traurig dies sei. Dass sich viele der Universitätsbauten Kramers, deren Fortbestand in Frage gestellt ist, auch auf der Denkmalschutzliste der Mainmetropole finden, ist für Semmelroth kein erkennbarer Widerspruch. Die Dynamik der Großstadt sei ohne baulichen Wandel nicht zu haben, so der Kommunalpolitiker. Gedenken, Wehmut, Aufarbeitung ja, aber Abbruch und banaler Neubau: jetzt erst recht. Wo sich frühere Kulturpolitiker noch für Aufgaben mutig in die Bresche warfen, verweisen heutige bestenfalls auf die Macht des Faktischen und auf ihre Magistratsdisziplin. Flächendeckende Ornamentphobie Eine Ausstellung, die vorwiegend Kramers Möbelentwürfe und typisierte Bauelemente ausbreitet, hält sich von aktuellen Kontroversen um Kramers Architektur fern. Zwar rekapituliert die Kuratorin Gerda Breuer die Geschichte, deren Vernachlässigung und auf der anderen Seite deren „wortstarken Befürworter“. In ihrem Beitrag „Kramer revisited“ attestiert sie der Nachkriegsmoderne und auch Kramer „eine flächendeckende Ornamentphobie bei der Fassadenbereinigung“. Sie kritisiert, stets werde die Kramer-Biografie und -Legende auf gleiche Art erzählt, Kramer und mit ihm seine Designproduktion seien längst der Verkunstung anheimgefallen, wofür sie schlagende Beispiele nennt und auch die eigene Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit nicht ausnimmt. Und doch ist die Öffnung der zu viel zu engen Pforte des neobarocken Hauptgebäudes der Goethe-Universität aus dem Jahr 1906 eben weit mehr als eine „Fassadenbereinigung“. Diese Raumöffnung ist sowohl ein symbolischer als auch ein praktischer Akt. Ganz pragmatisch öffnete der Architekt Kramer den Eingang für eine größer werdende Zahl von Studenten. An die Massenuniversität späterer Jahrzehnte war nicht zu denken. Der Emigrant Kramer, der von Rektor Max Horkheimer und dem Kurator Friedrich Rau (beide ebenfalls zurückgekehrte Emigranten) aus den Vereinigten Staaten in seine Heimatstadt geholt worden war, behauptete sich seinen Entwurf dieses wichtigen Frankfurter Universitätsbaus Wie er 1982 berichtete, teilten ihm als Leiter des Universitätsbauamts Ordinarien mit: „Ich bin im Schatten eines gotischen Domes aufgewachsen und so möchte ich auch mein Institut haben“. Kramer schuf in seiner Amtszeit von 1952 bis 1964 rund 23 Bauten für die Universität in Frankfurt. Stadt und Land stritten über die Zuständigkeit für die vor dem Krieg eigenständig finanzierte Stiftungsuniversität. Deshalb gab es pro Jahr insgesamt nur vier Millionen Mark für den Wiederaufbau, der in weiten Teilen aus Neubauten bestand. In Zeiten explodierender Baukosten und halbfertiger Flughäfen und Konzertsäle scheint rückblickend unvorstellbar, wie kosteneffektiv, flächenbewusst und zügig hier gebaut wurde. Und so konnte der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge im Jahr 1958 dem bereits fertig gestellten Institutsbau attestieren: „Kramers Bauen ist funktionell, billig und von einer fast zarten Form, wie ich Ähnliches in Deutschland kaum kenne.“ Beeinflusst vom Bauen in Amerika Beton-Rasterbauten in zarter Form? Das Material Beton und die Formbeschreibung zart scheinen sich auszuschließen. Auf dem Bockenheimer Universitätsgelände muss man sie suchen, die fein proportionierten Stahlskelett-Gehäuse, die inmitten weniger sorgsam gestalteter Nachfolgebauten stehen. An mit Klinker ausgefachtem Betonfachwerk und – beeinflusst vom Bauen in Amerika – außenliegenden stählernen Fluchttreppen kann man einige von ihnen erkennen, auch an den „Brise Soleil“, den oftmals vor die Gebäudestruktur gesetzten Sonnenschutz. Seit der Sprengung des AfE-Turms ist der Schornstein des Kramerschen Heizkraftwerks wieder die städtebauliche Dominante des Quartiers. „Ein Betonschornstein als überragendes Arbeitssymbol ist, wie wir fürchten, als proletarisches Denkmal gemeint, eine Art Eiffelturmersatz und ein Affront“, ereiferte sich ein Kritiker im „Merian“-Heft Frankfurt von 1968. Tatsächlich wurde der Universität durch den Bau des Kraftwerks die Installation von Heizkesseln samt Folgekosten in jedem einzelnen Institut erspart. Das Heizkraftwerk entstand im Jahr 1953 als einer der ersten Kramerschen Universitätsbauten. Als Ferdinand Kramer im Jahr 1952 nach Frankfurt zurückkam, waren bereits erste Institutsgebäude entstanden, die „meist ohne Plan eines Zusammenhangs mit den Nachbarwissenschaften, aber auch ohne Rücksicht auf einen künftigen Raumbedarf“, geplant wurden wie er 1960 in einem Beitrag über „Bauen für die Wissenschaft“ schrieb. Nicht auf dem freien Feld, wie von ihm ursprünglich intendiert, sondern am beengten alten Standort von 1914 mussten Kramer und der Jurist und Hochschulreformer Rau ihre Campus-Universität errichten. Das Gelände zwischen Bockenheimer Landstraße im Norden, Georg-Voigt-Straße im Süden, der Gräfstraße im Westen und der Senckenberganlage, rund 16,4 Hektar groß, war umgeben und durchzogen von Straßen, bebaut mit Mietshäusern und Gärten und befand sich zum Teil in Privatbesitz. Wenigstens ein Interessengebiet solle die Stadt ausweisen und auf diese Weiseder Universität im „wirtschaftswunderlichen“ Baugeschehen Vorrang einräumen. Doch der Stadtkämmerer war der Meinung, es sei günstiger, die Grundstücke jeweils erst kurz vor Baubeginn zu erwerben. Ein fataler Irrtum, wie sich herausstellte. So wurde auf dem Gelände immer wieder umgeplant, wurden neue Bezüge zwischen benachbarten Wissenschaften hergestellt und wieder verworfen. Erste Pläne sahen gar Tennisplätze mitten in Bockenheim vor, doch auch das Sportinstitut passte nicht auf den Campus. Universität aus einem geistigen Zusammenhang Pragmatismus und der Versuch, vorrausschauend und veränderbar zu bauen schlossen sich nicht aus. Fühlten sich die kritischen Theoretiker wohl in den Bauten, in denen Kramer „progressiven Geist“ einfangen wollte, wie Breuer behauptet? Es war jedenfalls nicht der Hochschul-Organisator Horkheimer, der Kramer Steine in den Weglegte, für zwei Amtsperioden begleitete er als Rektor die Bau- und Planungsaktivitäten. Über das Verhältnis zwischen dem Architekten Kramer und den Philosophen Adorno und Horkheimer wird oft spekuliert. Ihre Beziehung war und blieb freundschaftlich, auch wenn Kramer kein Theoretiker oder Wissenschaftler sein musste, um für sie zu bauen. Und umgekehrt mussten die kritischen Theoretiker nicht alle ästhetisch-funktionalen Entscheidungen Kramers bis ins Detail gutheißen. Ihren theoretischen Positionen zur „instrumentellen Vernunft“ etwa, standen die Bauten womöglich entgegen. Versuche, den Vortrag „Kritik des Funktionalismus“ (1965) von Adorno, der seit frühester Jugend mit Kramer befreundet war, unmittelbar auf diesen zu beziehen, greifen zu kurz. Immerhin: Erst kürzlich kam mit dem Nachlass des Emigranten Leo Löwenthal (auch er gehört zu den Mitbegründern der Frankfurter Schule) auch dessen Schreibtisch zurück nach Deutschland. Seit den 1920er Jahren, bis zu seinem Tod hatte er daran gearbeitet. Heute verwahrt die Akademie der Künste in Berlin das Möbel. „Das Auffallende an einem Architekten und Gestalter“ wie Kramer sei, schreibt Michael Müller im Katalog der Frankfurter Ausstellung, „dass er Materialien, aus denen er seine für das alltägliche Leben bestimmten Bauten, Räume und Gegenstände zusammensetzt, in einem ganz und gar unspezifischen Sinne gebraucht. An ihnen ist nichts Repräsentatives und schon gar kein monumentaler Sinn zu erkennen. Eben das gilt heute, in Zeiten der „Kulturalisierung“ und Ästhetisierung des öffentlichen Raumes als ihr schlimmstes Defizit. Die Frankfurter Universität hat nun doch noch ihren durchgrünten Campus bekommen, ein gänzlich anderer als Kramer vorschwebte. Ist sie eine „Universität aus einem geistigen Zusammenhang“, wie Alexander Kluge angesichts von Hörsaal-Kubus, Seminar-Hochhaus, dem „Biologischen Camp“, der Mensa und der Universitätsbibliothek 1958 schwärmte? „Repräsentative Bauten“, befand er, sind „regelmäßig schlechte Bauten“ – und kannte noch nicht die erhabenen, mit Muschelkalk verkleideten Institute im Umfeld des einstigen I.G.-Farben-Gebäudes. Seit Ende der 1990er Jahre entstehen sie auf dem „Campus Westend“, daher fällt der alte „Campus Bockenheim“ nun zurück an die Immobilien-Verwerter. Neben manchem Banalbau stehen dort Kramers Institute, Wohnheime, Mensa und Bibliothek. Die städtische AGB Holding, zu der auch das bauliche Erbe des“ Neuen Frankfurt“ gehört, soll aus den heruntergekommenen Funktionsbauten einen „Kultur Campus“ machen, unter Bürgerbeteiligung und mit hochtrabenden Zielen. Kultur-Institutionen sollen dort angesiedelt werden. Den mittleren Teil des Geländes hat sich das Senckenberg-Forschungsinstitut als Erweiterung seines Stammhauses gesichert, Peter Kulka plant dessen Sanierung und Umbau. Das „Neue Frankfurt“ als Weltkulturerbe? Noch immer wird um Kramer gestritten. Im Nordwesten des Geländes versucht eine Initiative, das „Philosophicum“, das modular konstruierte Seminargebäude aus dem Jahr 1960 mit seinen nicht ummantelten Stahlstützen zu Wohnzwecken umzubauen. Die AGB möchte abreißen und verdichten. Mehr Wohnraum, statt qualitativer Experimente, lautet die Devise. Auch Kramers Mensa, entstanden 1963, ein flacher Kubus mit riesigen Glasscheiben, ist seit Jahren mit Planen verhangen. Er soll baldmöglichst durch ein Gebäude für Büros und Wohnen ersetzt werden. Ein gesamtheitlicher Plan ist nicht zu erkennen. Nur ganz in der südwestlichen Ecke des Geländes gibt es eine Ausnahme, die aufzeigt, wie man Kramers Architektur weiterentwickeln und nutzen kann. Das Forschungszentrum BiK-F hat hier das einstige Pharmazeutische Institut mit Hörsaal- und Laborgebäude aus 1958 kernsaniert und zu einem zeitgemäßen Forschungsstandort weiter entwickelt. Die Architekten Schürmann Spannel aus Bochum gingen in ihrem Entwurf äußerst behutsam vor. Fabian Wurm hat in seiner lesenswerten Gebäudemonographie (Reihe „Opus“, Band 77, Edition Axel Menges, 2014) das Projekt detailliert vorgestellt, begleitet von Fotos von Jörg Hempel. Noch einmal wird hier der Kosmos des Kramerschen Denkens und Entwerfens deutlich. „Dass die Veränderbarkeit Teil des Konzepts war“, berichtet Architekt Matthias Solbach dort, „haben wir bei der Sanierung schnell gemerkt.“ Bei Instandsetzungen habe das Architekturbüro „noch kein Projekt bearbeitet, das sich so gut an die notwendigen Bedingungen der heutigen Zeit anpassen ließ.“ Mitte der 1980er Jahre untersuchte Manfred Hegger, heute wichtiger Vertreter nachhaltigen Bauens, das Potential der Kramer-Bauten. Einstellige Millionenbeträge (in D-Mark) sollten damals ausreichen, um die Architektur wieder zu ertüchtigen. Doch noch immer hat Frankfurt nicht erkannt, dass das „Neue Frankfurt“ der 1920er Jahre ebenso zum Weltkulturerbe gehört, wie Kramers vorrausschauendes (kostengünstiges)Bauen, das repräsentative Gesten nicht nötig hat. Noch sind die Zeugnisse da und nicht nur Abbilder in Museumskatalogen. MEHR auf Stylepark: Knock-Down statt Handwerk: Das Frankfurter Museum Angewandte Kunst präsentiert Ferdinand Kramer – den Designer, nicht den Architekten. AfE-Turm 1972 – 2014: In Frankfurt wurde der AfE-Turm gesprengt. Das Universitätsgebäude wurde nur 42 Jahre alt. Ein Nachruf. |
Die einstigen Gebäude des Pharmazeutischen Instituts werden nun vom Loewe Forschungszentrum für Biodiversität und Klima genutzt. 2013 Foto © Jörg Hempel/SchürmannSpannel AG
Hörsaal- und Laborgebäude des Pharmazeutischen Instituts der Johann Wolfgang Goethe-Universität (mit K.P. Heinrici), Frankfurt am Main, 1957 Foto © Paul Förster, Kramer Archiv
Hörsaal- und Laborgebäude des Pharmazeutischen Instituts der Johann Wolfgang Goethe-Universität (mit K.P. Heinrici), Frankfurt am Main, 1957 Foto © Paul Förster, Kramer Archiv
Ferdinand Kramer im Jahr 1970. Foto © Trebor, Kramer Archiv
Feuertreppe Pharmazeutisches Institut, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 1957 Foto © H. Schwöbel Kramer Archiv
Außenfassade Studentenwohnheim Bockenheimer Warte, 1956. Foto © Kramer Archiv
Treppe, Pharmazeutisches Institut, 1957 Foto © Kramer Archiv.
Mensa, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 1963. Foto © H. Schwöbel, Kramer Archiv
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Feuertreppe Philosophicum, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 1960. Foto © Kramer Archiv
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Siedlung Westhausen (mit Eugen Blanck), 1929 Foto © Grete Leistikow Kramer Archiv
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